Dank an Tino Hanekamp für diese treffenden Worte.
Dank an intro für die Genehmigung, sie hier einstellen zu dürfen.
„Ich wein einen Fluss“
Nils Koppruch ist tot. Er ist am Dienstagabend friedlich zu Hause eingeschlafen und am nächsten Morgen nicht mehr aufgewacht. Er hinterlässt seine Frau, seinen vierjährigen Sohn und unzählige Freunde und Bewunderer seiner Musik, seiner Bilder und Texte. Seit Stunden telefoniere ich mit Menschen, die ihn liebten, weil ich nicht weiß, was ich machen soll. Alle sprechen mit tonloser Stimme, viele weinen, jedes Mal hoffe ich, dass einer sagt, es stimmt nicht, war ein Irrtum, Nils ist gar nicht tot.
Warum stirbt der uns einfach so weg? Bedeutet das, dass er endgültig bis in alle Ewigkeit nicht mehr da ist? Und was machen wir jetzt?
Und ich denk an all die Ecken, wenn’s zu Ende geht
An all die Ecken, wo ich schon mal stand
Und ich denk an all die Straßen, die ich runterging
Und an all die Ecken, die ich dann noch fand
Und jetzt wart ich auf meinen letzten Atemzug
Und dass ich noch zum letzten Mal sag
Lass mal noch ne Ecke weitergehen
Irgendwann kommen die Anderen nach
Nils Koppruch – „Eckensteher“
Es ist so merkwürdig, über ihn zu schreiben, als sei er nicht mehr da, denn bis gerade eben war er ja noch da, und die Entertaste geht nicht mehr, weil ich draufgeheult habe, und überhaupt ist alles eine riesengroße Scheiße.
Ich bin ihm 1999 zum ersten Mal begegnet, da war ich 20 und stand vor der Batschkapp in Frankfurt, weil Element Of Crime dort ein Konzert geben sollten, aber ich kam nicht rein, weil’s ausverkauft war, und aus dem Fenster guckten ein paar Typen, und ich sagte, helft mir, ich muss da rein, und sie lachten, und wir redeten ein bisschen, und irgendwann kam einer runter und gab mir einen Backstagepass, und dann war ich drin. Eine Stunde später standen die Typen aus dem Fenster auf der Bühne, sie waren die Vorband, Fink, und Nils war ihr Sänger und Frontmann. Sie waren mit ihrem Album „Mondscheiner“ auf Tour, und ich dachte nur: Was ist DAS denn! Sie spielten angeschrägten, extrem lässigen Americana, sahen irre cool aus, und dann noch diese Texte – voller Lakonie, Witz und Weisheit. Den Rest des Abends habe ich am Merch-Stand verbracht und mit Nils geredet, ich weiß nicht mehr worüber, aber seitdem bin ich Fan, irgendwann wurden wir Freunde.
Zwei Jahre nach Frankfurt zog ich nach Hamburg, und zwar nicht wegen Tocotronic oder Blumfeld, sondern wegen Fink. Erste Amtshandlung: Interview mit Nils im alten Lado-Büro zur neuen Platte. Er erkannte mich wieder, weil ich immer auf seinen Konzerten rumlungerte, und überhaupt war er ein überaus liebevoller, neugieriger und hilfsbereiter Mensch, ich habe ihm viel zu verdanken. In Hamburg geboren, hatte er diese typisch hanseatische, leicht distanzierte Höflichkeit, war aber gleichzeitig sehr herzlich. Er trug meistens zerbeulte Jeans, Hemd und Workingboots, war unrasiert, rauchte Marlboro, und eines seiner Lieblingsalben war Ry Cooders „Paris, Texas“. Er war ein Eckensteher, Leutebeobachter, Großstadtcowboy; ein echtes Original, wie man in Hamburg sagen würde. So einen hatte es noch nicht gegeben, und so einen gibt’s auch nie wieder.
Nach einer Ausbildung zum Koch studierte er ein bisschen, brach ab und beschloss mit Mitte zwanzig nur noch Künstler zu sein, Maler und Musiker. Bald machte er Musik, die es hierzulande noch nicht gab; so eine Art Alternative-Country mit DIY-Backround und deutschen, wunderbar poetischen und eigenartig einzigartigen Texten, die man sich am liebsten übers Bett pinseln würde. Fink waren immer ein bisschen zu spröde für die breite Masse, entwickelten sich in wechselnder Besetzung beständig weiter, die Texte wurden tiefer, die Musik reicher, da war jetzt auch Bluegrass drin, Folk, Rythm & Blues, und als sie am Besten waren, lösten sie sich auf. Seit 2007 war Nils solo unterwegs, veröffentlichte die Alben „Den Teufel tun“ und „Caruso“.
Er war auch Maler, und was für einer. Er nannte sich SAM. und sein Atelier NEU. Im Februar 2002 hatte er mal wieder eine Ausstellung in Hamburg, und alle Bilder hingen in Packpapier gewickelt an der Wand. Man kaufte also die Katze im Sack, und Nils stand daneben und lachte, der Fuchs. Seine Werke waren stets erschwinglich, man nennt das auch Cheap Art oder Off-Kunst – schnell produziert und günstig veräußert. Er war sehr fleißig, hatte immer irgendwas am Laufen, und wenn er nicht gerade malte, schrieb oder musizierte, schnitzte er Skulpturen oder ging mit seinem Sohn auf den Spielplatz. Drei seiner Bilder begleiten mich überall hin. Auf einem ist eine Kaffeekanne. Auf dem anderen sitzen zwei Typen in einem Boot auf schwerer See, und einer hat ne Narbe auf der Stirn. Mein Lieblingsbild, es hängt für immer über meinem Schreibtisch, zeigt einen roten Kopf, der irgendwie verwirrt wirkt, drumherum ist ein Kreis und darunter steht „Konflikt“.
Das letzte Mal sah ich Nils, diesen wunderbaren Mann, vor drei Wochen in Berlin, wo er mit Kid Kopphausen, der Band, die er mit Gisbert zu Knyphausen gerade erst gegründet hatte, zwei ausverkaufte Shows hintereinander spielte. Die Band war famos, die Leute applaudierten stehend, und obwohl Nils eine Grippe hatte und erschöpft wirkte, war er bester Dinge. Die Wollmütze in die Stirn gezogen, Bier in der einen, Zigarette in der anderen Hand, erzählte er, wie gut es ihm gehe und wie glücklich er sei, das alles erleben zu dürfen. Dann mussten sie ihre Instrumente in den Bus laden. Wir umarmten uns und sagten tschüs, bis bald. Ende Oktober sollte die Tour weitergehen, und ich hätte mitfahren dürfen, um im Vorprogramm zu lesen, aber nun wird es keine Tour mehr geben, weil Nils gestorben ist, was keinen Sinn macht, und ich hau meinen Kopf auf die Tastatur, weil ich beim Einladen der Instrumente nicht geholfen habe, weil ich Hunger hatte und ein Idiot bin, und ich weiß nicht, woran Nils gestorben ist, aber er ist seine Grippe nicht los geworden, hat sie die ganze Zeit mit sich rumgeschleppt, und wenn Ihr Eure Grippe nicht los werdet, geht verdammt noch mal zum Arzt, aber Nils war ja beim Arzt gewesen, und dann ist er eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht, mit 47, dabei ging es doch gerade erst los, und das ist so unfassbar traurig und gemein, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Wir werden wohl erst in den nächsten Monaten und Jahren begreifen, wen wir hier gerade verloren haben.
Hab versucht den Regen zu trinken
Und satt davon wurde ich nie
Ich wein einen Fluss
Hab gesehen wie wenig man sieht
Wenn man zu sehen vergisst
Ich wein einen Fluss
Und am anderen Ufer stehst du
Und ich wink dir noch einmal zu
Am anderen Ufer stehst du
Fink – „Ich wein einen Fluss“
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